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Archivbilder des Quartals 2024/3

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1918 - Streikfront

Damals waren die Zürcher Trämler an der Streikfront vorne mit dabei und forderten in einem acht Punkte umfassenden Forderungskatalog gar den Rücktritt des Direktors.

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Aufmüpfige Trämler

Tram Museum Zürich

Es gärte schon länger in der Arbeiterschaft. Die Teuerung und schlechte Arbeitsbedingungen bewirkten, dass sich die Arbeiter mehr und mehr organisierten und auf die Strasse gingen. Das Ganze gipfelte im landesweiten Generalstreik vom November 1918, der das Land in eine schwere Krise stürzte und an den Rand eines Bürgerkriegs brachte. Truppen wurden aufgeboten für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, was die Lage keineswegs beruhigte. Eine durch die Armee gewaltsam aufgelöste Demo auf dem Münsterhof liess die Situation weiter eskalieren; die Arbeiter-Proteste breiteten sich im ganzen Land aus. Und die Zürcher Trämler? Sie waren an der Streikfront vorne mit dabei.

Tram Museum Zürich

Am Samstag, den 9. November erschienen die Wagenführer und Kondukteure zwar in den Depots ‒ die meisten statt in Uniform jedoch im Sonntagsgewand. Unzufrieden waren sie vor allem über die herrschende Bussenpraxis; selbst kleinste Fehler wurden mit Verweis oder Busse bestraft. Es gab durchaus einige Arbeitswillige, so dass einzelne Kurse ausfahren konnten. Sie wurden begleitet von Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett, welche jedoch nicht verhindern konnten, dass da und dort Steine auf die Fenster der vorbeifahrenden Tramwagen flogen. Nach dem Mittag wurde der Trambetrieb schliesslich eingestellt.

Rücktritt des Direktors gefordert

Tram Museum Zürich

Auch die nächsten Tage ruhte der Tramverkehr. Keck stellten die streikenden Trämler einen acht Punkte umfassenden Forderungskatalog zusammen. Die letzte Forderung hatte es in sich: Für die Wiederaufnahme der Arbeit forderten die Trämler die Absetzung von Direktor Largiadèr und seinem Assistenten Dräyer. Dieses Ansinnen wurde vom Stadtrat als «unerhört» zurückgewiesen.

Am 14. November wurde der Streik abgebrochen ‒ ohne unmittelbaren Erfolg. Verschiedene Tramangestellte waren mit den Kampfmassnahmen nicht einverstanden und gründeten eine Konkurrenz-Gewerkschaft, den «Neutralen Strassenbahnerverein» (in der Gewerkschaft «Syna» aufgegangen). Diese Spaltung führte zu einer Vergiftung des Klimas innerhalb des Personals. Die daraus resultierenden Gehässigkeiten dauerten noch lange an.

Als der Tramdirektor an der Uni dozierte

Tram Museum Zürich

Zwar rollten die Tramwagen jetzt wieder, aber die Lage blieb angespannt. Um einer neuerlichen Arbeitsniederlegung zu begegnen, wurde zu einem ungewohnten Mittel gegriffen. Es war bekannt, dass die Studenten, die sich damals mehrheitlich gegen die Arbeiter stellten, sich noch so gerne als Streikbrecher einspannen liessen.

Daher veranstaltete Direktor Largiadèr am 18. November im Auditorium maximum der Universität eine Veranstaltung der besonderen Art. Rund 400 Studenten lauschten ihm, als er zusammen mit Kontrolleuren eine Vorlesung über den Strassenbahnbetrieb hielt. Die Akademiker wären in erster Linie als Kondukteure eingesetzt worden; zur Vereinfachung hätte man vorübergehend einen Einheitstarif von 20 Rappen eingeführt. Daneben waren ausgewählte ETH-Studenten für die Einschulung als Wagenführer vorgesehen. Dazu kam es nicht. Immerhin kam es 45 Jahre später doch noch zum Einsatz von Studenten als Aushilfskondukteure ‒ als 1963 der Personalmangel zu dieser Massnahme zwang.

3 Akteure der bewegten Jahre

Tram Museum Zürich

Fritz Largiadèr (1863‒1939)

Der Maschineningenieur und Oberst der Infanterie amtete zuvor als Direktor des Elektrizitätswerks Kubel in St. Gallen, sass kurz sogar im St. Galler Gemeinderat und trat am 26. Mai 1911 seine Direktorenstelle bei der Städtischen Strassenbahn Zürich an. Während seiner Amtszeit gelang es ihm nicht, den Respekt des Personals zu erlangen.

Die 1918er-Wirren überstand Largiadèr nicht ganz unbeschadet. Nachdem ihm der Stadtrat die nachgesuchte Gehaltserhöhung verweigerte, trat er 1919 zurück und versuchte es eine Zeitlang als selbständiger Berater. 1921 fand er dann einen Posten, der ihn erfüllte und in dem er Wertschätzung erfuhr: Bis über das Pensionsalter hinaus wirkte er als Generalsekretär des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins (SEV) und des Verbands Schweizerischer Elektrizitätswerke. Weiterhin verbunden blieb Largiadèr mit der Forchbahn, deren Inbetriebsetzung in seine Amtszeit fiel; bis 1932 sass er im Verwaltungsrat der Bahn.

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Albert Dräyer (1870‒1940)

1894 begann er als Kondukteur bei der privaten Elektrischen Strassenbahn Zürich (ESZ), welche 1896 von der Stadt übernommen wurde. Er war in der Gewerkschaft aktiv, zunächst als Beisitzer, dann als Kassier. 1908 wurde er für seine gewerkschaftlichen Dienste mit einer silbernen Uhr mit eingravierter Widmung geehrt.

Dann aber wechselte Dräyer die Seiten und setzte zu einer steilen Karriere an: Kontrolleur, Betriebsassistent, Betriebsinspektor ‒ nach heutigen Begriffen: Betriebschef. Er führte mit harter Hand, war unzimperlich gegenüber dem Personal und wurde so in Rekordzeit zum meist gehassten Vorgesetzten. Er war aber auch tüchtig und kompetent, organisierte den stets wachsenden Betrieb in vorbildlicher Weise, wurde sogar als «unersetzlich» bezeichnet.

Auf jeden Fall konnte er sich stets auf die Rückendeckung der vorgesetzten Stellen verlassen und überstand alle Anfeindungen. Mit der Zeit wurde er wohl etwas milder, denn die Klagen verstummten. Seine Karriere krönte er als Stellvertretender Direktor, ehe er Ende 1935 nach über 40-jähriger Dienstzeit in den Ruhestand trat.

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Alfred Traber (1884‒1970)

Primarlehrer Traber wurde für die Sozialdemokraten in den Gemeinderat gewählt und fiel durch sein Eintreten für die Arbeiterklasse auf. Die Strassenbahnergewerkschaft zog es 1916 vor, statt einen Kandidaten aus den eigenen Reihen, einen Externen zum Präsidenten zu wählen. Die Wahl fiel auf Alfred Traber, der energisch das Steuer übernahm und aus den gewerkschaftlich organisierten Strassenbahnern eine kämpferische Truppe formte.

Politische Gegner hängten ihm schon bald das Etikett «Trämlergeneral» an. Das Präsidentenamt gab er ab, als er 1919 überraschend in den Stadtrat gewählt wurde. Man teilte ihm ausgerechnet das Polizeiwesen zu, was er als Affront empfand. Er rächte sich, indem er dieses Amt höchst eigenwillig ausführte. Bei einer Demonstration, die später aus dem Ruder lief, hielt er seine Polizisten zurück. Er wurde wegen Verletzung der Amtspflicht angeklagt und musste für 6 Tagen ins Gefängnis.

Später konvertierte er zu den Kommunisten. Dafür erhielt er die Quittung: Nach nur einer Amtsperiode wurde er als Stadtrat abgewählt. Entmutigen liess er sich nicht. Reumütig kehrte Traber zu dem Sozialdemokraten zurück, engagierte sich als Sekretär der Gewerkschaft VPOD, schaffte den Wiedereinzug in den Gemeinderat und wurde schliesslich Bezirksrichter.

Auch sein Engagement für die Tramangestellten nahm er wieder auf: Von 1927 bis 1954 war er Mitglied der Strassenbahnkommission. Diese Behörde behandelte damals verschiedene Geschäfte der Verkehrsbetriebe, etwa Fahr- und Dienstplangestaltung. Traber brachte die Personalanliegen in das Gremium ein ‒ nun in moderaterem Ton als 1918.