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Archivbilder des Quartals 2024/2

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Ein missratener Versuch

Ende der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts bestellte die Städtische Strassenbahn Zweiachs-Motorwagen mit Vielfachsteuerung. Nach Versuchen für Strandbadzüge und Pendelzüge Escher-Wyss-Platz – HB wurde das Experiment abgebrochen. Als einziges dieser Fahrzeuge hat die Nummer 1009 überlebt und steht aktuell im Tram-Museum Zürich. Auch die ZOS versuchte es mit Pendelzügen, was aber aufgrund der Länge dieser Einheiten ebenfalls scheiterte. Als einziger Wagen erhalten geblieben (und für die betriebsfähige Wiederherstellung vorgesehen) ist die Nummer 81.

Archivbilder des Quartals 2024/2

Doppeltraktion anno 1929

Tram Museum Zürich

Die Verkehrszunahme Ende der 1920er Jahre machte es nötig, den Tramzügen in den Stosszeiten zwei Anhängewagen mitzugeben. Auf den Flachlandstrecken war dies mit den herkömmlichen Zweiachs-Motorwagen kein Problem; einzelne Einsatzkurse wurden sogar mit drei Anhängern geführt. Bei den Linien mit Steigungen führten die Dreiwagenzüge hin und wieder zu Schwierigkeiten: bei der Bergfahrt infolge des geringen Adhäsionsgewichtes und der schwachen Motorleistung der Triebwagen, bei der Talfahrt durch die damals noch fehlende Luftbremse.

Daher plante die Städtische Strassenbahn die Beschaffung von schweren und starken Vierachs-Motorwagen. Prompt entbrannte ein Glaubenskrieg. Ein eigens einberufenes Expertengremium fand nämlich Vierachser für die Zürcher Platz- und Verkehrsverhältnisse ungeeignet und empfahl stattdessen Zweiachser mit Vielfachsteuerung. Zwei Motorwagen in Doppeltraktion mit ein oder zwei Anhängewagen sollten die steigungsreichen Strecken problemlos bewältigen. Die Vielfachsteuerung war damals bei Bahnen nichts Neues, die Eignung für einen städtischen Trambetrieb aber noch fraglich.

Zur Probe wurden vier solcher «Fernsteuerungswagen» bestellt, parallel dazu acht konventionelle Motorwagen ‒ mit der Option, bei diesen nachträglich die Fernsteuerung einzubauen, sollte sich diese im Betrieb bewähren. Gewählt wurde das elektropneumatische System der Genfer Firma Sécheron. Mitte 1928 wurden die Wagen geliefert und zwei Anhängewagen mit den passenden Kupplungen und Leitungen versehen. Bei den Probefahrten zeigten sich Sicherheitsmängel. Die Nachbesserung bestand im Einbau einer Batterie für den Steuerstrom, damit bei Ausfall des Stroms aus der Fahrleitung die Bremsen in jedem Fall einwandfrei funktionieren. Das dauerte und lange Zeit standen die Wagen betätigungslos auf einem Abstellgleis beim damals neu in Betrieb genommenen Depot Irchel. In der Zwischenzeit entschloss man sich, zur Probe auch zwei Vierachser («Elefanten») zu bestellen.

Schliesslich kamen die beiden Doppeltraktionen auf die Linie 10, um auch das Quartier Oberstrass mit einem verbesserten Platzangebot bedienen zu können. Die Linie 10 verkehrte damals vom Tiefenbrunnen über die Bahnhofstrasse zum Irchel. Im Betrieb zeigte sich ein Problem am eben erst umgebauten Paradeplatz: Für Dreiwagenzüge waren die Haltestellenkanten zu kurz.

Weichen

Tram Museum Zürich

Ein Knackpunkt bei der Doppeltraktion war die Weichensteuerung. Zu dieser Zeit erfolgte die Weichenstellung per Fahrleitungskontakt; zum Stellen wurde das Kontaktstück mit eingeschalteten Motoren passiert, bei richtiger Stellung der Weiche stromlos mit Schwung befahren. Es galt nun zu verhindern, dass der Stromabnehmer des zweiten Motorwagens die Weiche unbeabsichtigt stellte. Hierzu musste der Wagenführer vor jeder Weiche per Hebelbetätigung den zweiten Motorwagen kurzzeitig aus- und nach Passieren des Kontakts wieder einschalten. Dies geschah, indem er den Hebel des Wendeschalters kurz auf die spezielle Stellung «W» (für Weiche) brachte.

Bevor ab 1966 die «Mirages» in Doppeltraktion verkehrten, wurden alle Weichen auf Hochfrequenzsteuerung umgebaut; der Wagenführer konnte fortan per Knopfdruck das Funksignal zum Stellen der Weiche an den Empfänger senden, welcher sich unter dem gelben Schachtdeckel zwischen den Schienen befindet.

Strandbadzüge

Tram Museum Zürich

Die neuartigen Fahrzeuge boten ausser der Doppeltraktion die Möglichkeit, Pendelzüge zu bilden: je ein Motorwagen vorne und hinten, im Sandwich ein Anhängewagen. Damit konnte auch an Zwischenhaltestellen gekehrt werden, wo keine Wendeschleife vorhanden war.

Viele Berufstätige verbrachten bei schönem Wetter die damals übliche zweistündige Mittagspause im Strandbad Mythenquai. Um dem Ansturm in der ohnehin schon turbulenten Mittagsspitze gerecht zu werden, wurden Einsatzkurse ‒ damals Supplementswagen genannt ‒ eingesetzt, wobei die Fernsteuerungswagen herangezogen wurde. Ab 8. Juli 1929 verkehrte eine erste, später dann eine zweite solche Komposition. Sie starteten im Dienstgleis in der Uraniastrasse, wendeten über die damals bestehende Gleisverbindung an der Brunaustrasse und besorgten über die Mittagszeit einen Pendelverkehr zwischen Paradeplatz und Brunaustrasse. Sie waren als Linie 7 betafelt und an der Längsseite mit einer Tafel «Strandbadzug» versehen. Das Ganze wurde ein Misserfolg. Nur gerade die ersten Fahrten hin und die letzten zurück erreichten einigermassen zufriedenstellende Frequenzen. Schon nach drei Wochen wurden die Strandbadzüge wieder eingestellt.

Pendelzüge Escher-Wyss-Platz‒HB

Tram Museum Zürich

Ein zweites Einsatzgebiet der Fernsteuerungswagen als Pendelzüge ergab sich ab dem Winterfahrplan 1929/30. Die in den Stosszeiten stark frequentierte Teilstrecke zwischen Hauptbahnhof und Escher-Wyss-Platz rief nach einer Entlastung. Über diese Pendelzüge gibt es wenig Unterlagen, auch Bilder fehlen. Vermutlich wendeten sie im damaligen Stumpengleis am Bahnhofquai. Es waren sogar drei Pendelzüge im Plan, was heisst, dass auch konventionelle Motorwagen für diesen Dienst verwendet wurden. Wieso stets zwei Wagenführer eingeteilt waren, ist unklar. Die Entlastungfunktion der Pendelzüge hielt sich in Grenzen, denn oftmals fuhren sie halbleer den überfüllten und verspäteten Kurswagen hinterher. Als im Oktober 1930 die Strecke zum Hardturm eröffnet wurde, erhielt die Limmatstrasse eine weitere Tramlinie und die Pendelzüge erübrigten sich.

Versuch abgebrochen

Tram Museum Zürich

Bereits Mitte 1929 ahnte man, dass der Versuch mit den Fernsteuerungswagen scheitern würde. Deshalb bestellte man weitere vierachsige «Elefanten», die sich ‒ hier irrten für einmal die Experten ‒ im Betrieb glänzend bewährten. Im Gegensatz dazu bereiteten die Fernsteuerungswagen nur Probleme. Weil nur zwei Züge vorhanden waren, erhielt das Personal nicht genügend Gelegenheit, die nötige Routine für die komplizierte Bedienung der Wagen zu erlangen. Die Kompositionen hatten Mühe, den Fahrplan einzuhalten. Die Fernsteuerungswagen waren ein Fremdkörper im Wagenpark und ausserdem sehr störungsanfällig. Als dann eine kostspielige Revision der Fernsteuereinrichtung anstand, war der Beschluss zum Übungsabbruch schnell gefasst. Die vier Fahrzeuge wurden 1931/32 den übrigen Motorwagen angepasst und die Fernsteuerung wurde ausgebaut.

Die Wagen erlebten mehrere Umnummerierungen, ursprünglich als Nummern 269‒272 vorgesehen, trugen sie kurz die Nummern 1‒4, dann 31‒34, 21‒24, 7‒10, und am Schluss 1007‒1010. Als einziger hat die Nummer 1009 überlebt.

ZOS

Tram Museum Zürich

Zur gleichen Zeit beschaffte auch die Strassenbahn Zürich‒Oerlikon‒Seebach (ZOS) vier Motorwagen für Doppeltraktion (Nummern 81 bis 84). Zur Anwendung kam ein System der Maschinenfabrik Oerlikon. Die Stromzuführung für den zweiten Motorwagen erfolgte über den Stromabnehmer des führenden Fahrzeugs. Um den erforderlichen Stromfluss zu gewährleisten, war ein Scherenstromabnehmer mit einem doppelten Schleifstück nötig. Die ZOS beabsichtigte, bei Grossanlässen in Oerlikon (Radrennen) Sechswagenzüge mit zwei Fernsteuerungs- und dazwischen vier Anhängewagen einzusetzen. Damit konnten ein einziger Tramzug 300 Personen befördern. Im Februar 1929 kam es zu Probefahrten, doch der Plan wurde schon im Keim erstickt, weil sich der Zürcher Stadtrat vehement gegen diese langen Ungetüme wehrte und sie auf den Strassen der Stadt unter keinen Umständen duldete.

Nach Übernahme des Oerliker Trams durch die Stadt 1931 wurde die Fernsteuerung ausgebaut, die Wagen erhielten neue Kontroller und einen Lyrabügel, letzteres aus ästhetischen Gründen, da die Stadt der Ansicht war, der filigrane Lyrabügel passe besser zu den Zweiachsern als der wuchtige Pantograf. Als einziger Wagen erhalten geblieben (und für die betriebsfähige Wiederherstellung vorgesehen) ist die Nummer 81.