0
Archivbilder des Quartals 2023/4

Archivbilder des Quartals 2023/4

Das mysteriöse Auge

Archivbilder des Quartals 2023/4
Tram Museum Zürich

Vom VBZ-Signet zum nationalen Symbol

Das stilisierte Auge, Inbegriff für «Fahrgast-Selbstbedienung» und «Selbstkontrolle», wurde von den VBZ erfunden. Eigentlich war es eine Spätgeburt. Denn der erste Tramzug, der im Mai 1963 versuchsweise mit einem kondukteurlosen Anhängewagen auf die Linie 5 geschickt wurde, trug an der Front eine Tafel mit einem «S». Das stand für «Sichtwagen». Zunächst war der Wagen nur für «Sichtkarten»-Inhaber reserviert; Entwerter und Billettautomaten kamen erst später.

Tram Museum Zürich

Akuter Personalmangel zwang die Verkehrsbetriebe zu Massnahmen, die letztlich zur Abschaffung der Kondukteure führten. Als erste erhielten ab 14. Oktober 1963 die Tramlinien 13 und 14 unbediente Anhängewagen. Als Kennzeichnung gelangte jetzt das schwarze Auge auf dem gelben Grund zur Anwendung. Linie um Linie verlor die Kondukteure. Das «Sichtauge» wurde omnipräsent: auf der Fahrzeugfront, auf dem Busheck, zwischen den Einstiegstufen, auf den Informationsmitteln.

Kaum eingeführt, trat das prägnante Auge zu einem unvergleichlichen Siegeszug an: 1964 tauchte es in Biel auf, im gleichen Jahr auch auf der Sihltal- und Uetlibergbahn. In der Folge bei vielen weiteren Verkehrsbetrieben und Privatbahnen im ganzen Land. Und als 1968 auf dem «Goldküstenexpress» die ersten kondukteurlosen Kompositionen verkehrten, wurde das Auge auch bei den SBB heimisch.

Bei den kommunalen Betrieben wurde der kondukteurlose Betrieb bald dermassen zur Selbstverständlichkeit, dass das Auge mehr und mehr verschwand. Im VBZ-Alltag findet man es heute nirgends mehr. Auf Zürichs Strassen ist es einzig noch auf den Postautos zu sehen.

Tram Museum Zürich

Ganz anders auf nationaler Ebene. Hier erlebte das markante Zeichen im Dezember 2011 eine überraschende Renaissance. Als die SBB den Billettverkauf durch das Zugspersonal einstellten, kam das Signet auch auf den Wagen des Fernverkehrs zu Ehren. In direkten Zügen rollt das Zürcher Auge gar täglich nach Venedig, Graz und München.

Doch woher kam das Auge? Da schriftliche Belege nicht gefunden werden konnten, sind wir auf die Überlieferung mündlicher Ausführungen angewiesen, wie sie der seinerzeitige VBZ-Direktor Werner Latscha († 2019) erzählte. Der Zürcher Grafiker Heini Fischer-Corso (1921‒1990), den Latscha aus seiner Jugendzeit kannte, tauchte eines Tages im Direktionsbüro auf und präsentierte seinen Auge-Entwurf. Die Grafik überzeugte vollends und wurde dankend entgegengenommen. Während also das Auge eine glänzende Karriere machte, blieb sein Schöpfer vergessen. Eine Würdigung erhielt er nie. Das ist die tragische Seite der Erfolgsgeschichte.